Einleitung

Zu den Seereisen der Herrnhuter Brüdergemeine

Bei der Herrnhuter Brüdergemeine handelt es sich um eine pietistische Glaubensgemeinschaft, die zunächst vornehmlich aus mährischen Glaubensflüchtlingen bestand, die sich seit 1722 auf dem Gut des Grafen Zinzendorf in Herrnhut in der sächsischen Oberlausitz angesiedelt hatten. Durch den weiteren Zuzug von Frauen und Männern aus den verschiedensten Gegenden Europas, die eine ihren religiösen Vorstellungen entsprechende Lebensform suchten, wuchs die Gruppe rasch und begann schon bald nach ihrer Gründung eine intensive Reise- und Missionstätigkeit. Die Brüdergemeine war weltweit aktiv und sandte ihre Mitglieder übers Land und übers Meer in die verschiedensten Weltgegenden, um dort Missionsstationen und neue Gemeinorte aufzubauen. Der Schwerpunkt der Aktivitäten lag in der atlantischen Welt.

Ab 1735 überquerten Mitglieder der Brüdergemeine den Atlantik. Wurden einzelne Personen, Paare oder kleinere Gruppen entsandt, war die Brüdergemeine in der Regel auf die Schiffe und Dienste von Handelsgesellschaften angewiesen. Wenn größere Gruppen über den Atlantik gebracht werden sollten, kaufte die Brüdergemeine wann immer möglich ein eigenes Schiff für die Passage. Dies sollte die Reisen nicht nur zuverlässiger und kostengünstiger machen, vielmehr sollte auch sichergestellt werden, dass das Leben an Bord während der oft langen Überfahrten ohne Unterbrechung oder Störung durch nicht immer wohlgesinnte Mitreisende nach den eigenen Rhythmen und Ritualen ablaufen konnte, gerade so als wären die Mitglieder in einem Gemeinort. Darüber hinaus dienten die Schiffe auch dazu, Post, Güter und Mobiliar für die überseeischen Missionsstationen und Gemeinorte sowie Handelswaren der Brüdergemeine zu transportieren.

Ansicht des Missionsschiffes Irene
Abb. 1: Ansicht des Missionsschiffes "Irene"; © Archiv der Evangelischen Brüder-Unität Herrnhut, Signatur: Ts – Bd.2.1.

Bei den Schiffen der Brüdergemeine handelte es sich meist um Snows, der nautische Begriff für die größten Zweimaster, die damals in der Handelsschifffahrt unterwegs waren. Anfang 1742 wurde in London die Catherine gekauft, mit der die erste Kolonie für den neugegründeten Gemeinort Bethlehem in Pennsylvania als erste "Seegemeine" über den Atlantik gebracht wurde. Nach der Überfahrt wurde das Schiff in Philadelphia verkauft. Das zweite Schiff der Brüdergemeine, die Little Strength, wurde im Frühjahr 1743 in England gekauft und brachte die zweite "Seegemeine", deren Mitglieder für die pennsylvanischen Gemeinorte Nazareth und Bethlehem bestimmt waren, über den Atlantik. Seit 1748 besaß die Brüdergemeine dauerhaft ein eigenes Schiff, die Irene, die im Dienst der Brüdergemeine 24 Mal über den Atlantik fuhr. Ende 1757 wurde die Irene auf dem Rückweg von New York von einem französischen Freibeuter gekapert und erlitt dabei Schiffbruch. Zwischen 1770 bis 1926 besaß die Brüdergemeine im Lauf der Zeit insgesamt zwölf weitere Schiffe, die unter sieben brüderischen Kapitänen vor allem im Dienst der verschiedenen weltweiten Missionsunternehmungen der Brüdergemeine standen.

Captain Nicholas Garrison
Abb. 2: Captain Nicholas Garrison (1701-1781); © Archiv der Evangelischen Brüder-Unität Herrnhut, Gemäldesammlung, GS 375.

Die Dauer einer Passage mit dem Segelschiff über den Atlantik von Europa nach Amerika war im 18. Jahrhundert unwägbar. Unter günstigen Bedingungen dauerte sie circa fünf Wochen. Waren die Umstände schlecht, konnten aber auch mehrere Monate vergehen, bis ein Schiff sein Ziel erreichte. Stürme und starker Seegang, aber auch lange Aufenthalte in den Häfen konnten Fahrten um Wochen verzögern. In dieser Zeit, wie auch bereits schon auf den langen und oft beschwerlichen Anreisen über Land zu den Abfahrtshäfen, konnte die Brüdergemeine meist auf ein weitverzweigtes und gut organisiertes Netzwerk von Unterstützer*innen zurückgreifen, die die Mitglieder mit Proviant und Unterkunft versorgten, bevor sie in See stachen.

Sobald die Nachricht von der Ankunft eines Schiffes im pennsylvanischen Bethlehem, dem Hauptstützpunkt der Brüdergemeine in Nordamerika, eintraf, wurde eine Anzahl lediger Brüder zum Hafen geschickt, um die Ankommenden zu begrüßen, ihnen beim Ausladen zu helfen und sie nach Bethlehem zu geleiten. Um dorthin zu gelangen, mussten die von der langen Seereise erschöpften Geschwister noch eine strapaziöse Reise von mehreren Tagen auf sich nehmen, die sie zum größten Teil zu Fuß oder mit Pferdekarren zurücklegten.

Um die auf der Reise gemachten Erfahrungen und die Zeichen des göttlichen Wirkens auf hoher See für die Gemeinleitung und die Glaubensgeschwister zu dokumentieren, wurden auf jeder dieser Reisen Seediarien verfasst, die nach dem Ende der Reise nach Herrnhut gesandt wurden, wo sie nicht nur archiviert, sondern auch in Auszügen kopiert und in die verschiedenen weltweiten Gemeinorte verschickt wurden, um dort im Kreis der Mitglieder verlesen zu werden.

Die in den Gemeinarchiven der Brüdergemeine in Herrnhut und in Bethlehem PA überlieferten Seediarien bilden die Grundlage für die Wiedergabe und Visualisierungen der transatlantischen Reisen der Brüdergemeine auf dieser Website. Daneben stehen für einzelne Reisen Logbücher, Briefe und Passagierlisten sowie Schiffsbauunterlagen, Instruktionen und Lebensläufe der Passagier*innen als Quellen zur Verfügung.


Über das Projekt

Das Work in Progress-Projekt wird am Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte der Universität Jena durchgeführt. Es verfolgt das Ziel, die Berichte zu den transatlantischen Reisen transkribiert zu präsentieren, deren räumliche und zeitliche Dimensionen sichtbar zu machen und sie mit weiterem Quellenmaterial zu kontextualisieren. Diese Kontextualisierung soll einerseits sowohl über die sukzessive Erschließung und Präsentation weiterer Quellen zur Atlantik-Überfahrt auf der Projektseite selbst erfolgen. Vor allem aber sollen auch externe Onlineressourcen aus anderen Projekten zur Geschichte der Herrnhuter Brüdergemeine verlinkt und eingebunden werden. Dazu gehören beispielsweise Lebensläufe und Briefe der Passagiere, die deren Biografien weit über die Seereise hinaus zugänglich machen. Verknüpfungen finden sich bereits zum Lebenslauf- und Visualisierungsprojekt Moravian Lives um Prof. Dr. Katherine Faull an der Bucknell University PA.

Der Bericht Friedrich Cammerhoffs über die 15-wöchige Reise von 11 Herrnhuter*innen nach Amerika in den Jahren 1746/47 an Bord der Snow "John Galley" unter dem Kapitän Crosswaite bildete den Piloten und Auftakt des Projektes. Die einzelnen Tage- und Logbucheinträge wurden täglich entsprechend des jeweiligen Eintragsdatums vor 274 Jahren fortlaufend freigeschaltet, die Reiseroute peu à peu vervollständigt. Die Transkriptions-Vorlage bildet die im Moravian Archive Bethlehem PA lagernde und digitalisierte Quelle "Journal and nautical record by Friedrich Cammerhoff from his sea voyage from London, England, to Pennsylvania, aboard the ,Snow'" (TravJournal 26).

Ab dem 23. Februar 2021 erfolgte die sukzessive Freischaltung von Reiseroute und Tagebucheinträge der Reise aus dem Jahr 1761. Von dieser ist sowohl ein Tagebuch erhalten, welches den Landweg von Herrnhut bis Zeist schildert, als auch eines, welches von der sich am 4. Mai 1761 anschließenden Seereise berichtet. Transkriptionsvorlage bildet bezüglich des Landwegs die ebenfalls im Moravian Archive Bethlehem PA lagernde und digitalisierte Quelle "Diaries of Johann Arbo from his travels with various groups in Europe" (TravJournal 165). Der Bericht von der Seereise wird gemäß der Quelle "Journal by Seidel from his voyage with the Zeist society from Zeist to Pennsylvania, 4 May-23 Oct 1761" (TravJournal 145) wiedergegeben.

Mit dem drittem freigeschalteten Reisebericht, deren Verfasserin Anna Johanna Piesch (1726-1788) ist, wird ein Tagebuch mit weiblicher Autorschaft präsentiert. Die Quelle "Anna Johanna Piesch mit 17. led. Schwestern, der Witwe Schulz u. Br. Töltschig von London nach Bethlehem. 28. Sept. bis 25. Nov. 1752." aus dem Unitätsarchiv Herrnhut (Signatur: R.14.A.35) wurde im Rahmen einer Online-Übung mit Studierenden (Jennifer Büttner, Sophie Lindauer und Dean Showers) transkribiert.


Weiterführende Literatur zu Herrnhuter Seereisen und zum Projekt

  • Gisela Mettele: Weltbürgertum oder Gottesreich. Die Herrnhuter Brüdergemeine als globale Gemeinschaft 1727–1857. Göttingen 2009.
  • Gisela Mettele: Gemeine auf hoher See: Meeresüberfahrten der Herrnhuter Brüdergemeine im 18. Jahrhundert. In: Peter Burschel und Sünne Juterczenka (Hg.): Das Meer. Maritime Welten in der Frühen Neuzeit. Köln 2021, S. 405–426.
  • Martin Prell: Moravians@Sea. A Website for Exploring and Experiencing Moravian Sea Voyages of the 18th Century. In: Journal of Moravian History. (Im Erscheinen)
  • John W. Jordan: Moravian Immigration to Pennsylvania, 1734-1767 (Transactions of the Moravian Historical Society, Vol 5, No2), Online.

Folgen Sie den Entwicklungen des Projekts zudem auf Twitter unter dem Hashtag #moraviansAtSea


Transkriptionsprinzipien

Es erfolgt eine vorlagennahe, möglichst zeichengenaue Wiedergabe der Quellen mit Ausnahme folgender stillschweigender Eingriffe

  • Satzanfänge werden groß geschrieben
  • Geminationen werden aufgelöst
  • Zeilenwechsel werden ignoriert. Sie werden lediglich bei Lyrik und signifikanten horizontalen Leerräumen umgesetzt
  • Mutmaßliche Kleinbuchstaben (bspw. d, b, w und h) werden (mit Ausnahme der Reise 1752) im Fall von Substantivanfängen als Großbuchstaben transkribiert.

Nicht lesbare Zeichen und Buchstaben werden mit # entsprechend der Anzahl der nicht lesbaren Zeichen markiert. Unsicher identifizierte Wörter werden mit [?] markiert. Rekonstruierter Text wird in [ ] gesetzt.

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